Vancouver Playhouse Production Centre - Wenn Kunst dem Sport weichen muss

Die kanadische Kunst- und Theaterszene kann nicht in dem Umfang auf staatliche Unterstützung zurückgreifen wie es beispielsweise in Deutschland der Fall ist. Im Falle des lokalen Schauspielhauses (Vancouver Playhouse) gestaltet sich die staatliche Unterstützung in der Art, dass die Räumlichkeiten - also das eigentliche Theater - zur Verfügung gestellt werden. Allerdings steht den Ensembles und den Kreativen, die hinter den Kulissen wirbeln, das Theater nicht uneingeschränkt zur Verfügung. Sie müssen sich vielmehr den Veranstaltungsort mit anderen teilen. So finden zum Beispiel auch jährlich Weinverkostungen und Promotion-Veranstaltungen dort statt. Dieses "Stage-Sharing" zwingt die Theaterleute dazu, besonders kreativ zu sein, vor allem, wenn es darum geht, Bühnenbilder, Böden, usw. schnell auf und ab zu bauen.

Im Vancouver Playhouse laufen jeweils im Winterhalbjahr 5-6 Stücke, und dann jeweils einen Monat, mit besagten Unterbrechungen durch andere Veranstaltungen. Wo wird dann aber geprobt, gebaut, genäht, getestet? Bisher stand hierfür das Vancouver Playhouse Production Centre in der 1th Avenue am False Creek zur Verfügung. Auf relativ engem Raum sind hier eine Probebühne, das Requisitenlager, die Näherei und die Werkstatt untergebracht. Die Theaterschreiner sind wahre Balsa-Holz-Künstler. Was vom Zuschauerraum aussieht wie eine stabile dreidimentionale schwere Struktur ist oft in Wirklichkeit nur dünnes Holz, das gerade mal den äußeren Rand der gewünschten dreidimensionalen Form nachbildet. Die Schreiner arbeiten nach den Angaben der Produzenten, die mal mehr und mal weniger detailliert ausfallen können, je nachdem wie gut der jeweilige Verantwortliche seine "Hausaufgaben" gemacht hat. Maße, Formen und Gewichte müssen stimmen, um dann auf der Bühne den richtigen Eindruck zu vermitteln - und alles muss transportabel sein, denn das eigentliche Theater liegt 5 Autominuten vom Production Centre entfernt; und es muss leicht auf und abbaubar sein - wegen besagtem "Stage-Sharing".

Beim Bühnenbild wird das Auge des Besuchers bewusst getäuscht - und bei den Requisiten sieht es nicht anders aus. Braucht man für ein Theaterstück 100 alte Grammophone muss man diese nicht mühsam auf Trödelmärkten zusammen suchen. Es reichen 3-5 Muster und der Rest wird dann passend gemacht - da werden Plastikblumenvasen aus dem Gartenmarkt oder andere spitze Gegenstände zu Grammophon-Trichtern. Das Playhouse verfügt über Requisiteure, denen sehr daran gelegen ist, die Schauspieler durch echt wirkende Requisiten zusätzlich in ihrer Darstellung zu unterstützen. Muss der Darsteller Briefe aus den 40ern entziffern… kein Problem. Briefumschlag samt Marke und Briefpapier wird so kopiert und bearbeitet, dass es wirklich aus der Zeit stammen könnte. Die Requisite kann auf einen großen Fundus zurückgreifen, obwohl aus Platzgründen nicht alles aufgehoben werden kann. Zu den Prunkstücken des Theaters gehören wohl die metallenen Pferdeköpfe, die zum Stück "Equus" gehören. Diese "Köpfe" werden im Stück von den Darstellern auf dem Kopf getragen und in der Vergangenheit waren die "Köpfe" ziemlich schwer, so dass der Künstler darunter richtig ins Schwitzen kam. In Vancouver wurden daher für diese Vorstellungen leichtere "Köpfe" aus Aluminium geschaffen, die zwar immer noch unförmig wegen ihrer Größe sind, aber wenigstens die Darsteller nicht erdrücken.

Und welche Wunder vollbringen die Kostümdesigner des Theaters? Sie stellen sicher, dass auch mehrere Kostümwechsel während einer Vorstellung reibungslos vonstatten gehen können. Im Stück "A Christmas Carol" beispielsweise, was im Vancouver Playhouse im Dezember 2006 auf dem Spielplan stand, spielen die Darsteller jeweils abwechselnd mehrere Rollen. Die Kostümbildnerin hat die Kleidung jeweils so konzipiert, dass entweder nur durch geringe Detailveränderungen deutliche Unterschiede hervorgerufen wurden, oder dass die Darsteller - wenn gar keine Zeit zum wechseln bleibt, einfach das neue Kostüm über das alte drüber ziehen. Je nach Stück können bis zu drei Lagen Kostüm zusammen kommen. Besonders stolz sind die Kostümbildner, wenn sie bei historischen Stücken die Mode der Zeit punktgenau treffen. Falten, Volants, Korsagen, Kragen,…. Auch altes Material von Flohmärkten kommt dort zum Einsatz. Wenn die Kleidung dem jeweiligen Schauspieler auch nicht sofort passt - entweder wird es passend gemacht oder zumindest wird sich an dem Stil der Zeit und an dem Stoff orientiert. Es will einfach jedes Theaterressort sein Bestes geben, um zum Erfolg eines Stückes beizutragen.

Erfolge gab es für das Vancouver Playhouse in der Vergangenheit viele - was die Anzahl der Jessies (Vancouver Theaterpreis) im Besprechungsraum des Productions Centres beweisen. Und wie wird die Zukunft werden? Hoffentlich rosig. Doch bevor das Playhouse in die nächste Winter-Theatersaison starten kann, steht zunächst mal ein Umzug auf dem Programm. Bis zum Mai muss das Production Centre die Räumlichkeiten am False Creek räumen. Die Gebäude dort werden abgerissen, um Platz für das Olympische Dorf für die Winterspiele 2010 zu schaffen. Drei Jahre lang muss das Theater also überbrücken - hierfür wurden Räumlichkeiten auf dem Campus der University of British Columbia in Vancouver gefunden. Der Nachteil: weniger Platz und weiter weg vom eigentlichen Aufführungsort. Die Theaterschaffenden hoffen jedoch auf die Zeit nach den olympischen Spielen, denn dann wird ihnen im von den Athleten verlassenen Olympischen Dorf am False Creek wieder Raum zur Verfügung gestellt. Die versprochene Quadratmeterzahl lässt hoffen: mehr Raum für Requisiten, Schneiderateliers, Schreinerei, Lager und Proben. Im Production Centre selbst wird es dann eine Bühne mit Zuschauerraum geben. Allerdings müssen die Kosten für die Bestuhlung dieses Zuschauerraums wieder vom Theater selbst aufgebracht werden. Denn wie gesagt: das Playhouse in Vancouver bekommt vom Staat nur die Theaterbühne im Schauspielhaus Ecke Pender und Hamilton Street zur Verfügung gestellt. Das restliche Budget muss von den Theaterleuten selbst aufgebracht werden.

© 2007 S. Schwager